Ethylenoxid-Rückstände in pflanzlichen Lebensmitteln

Befunde von Ethylenoxid (EtO) in Sesamsamen und daraus hergestellten Produkten haben in den vergangenen Monaten zu zahlreichen Beanstandungen und Produktrückrufen geführt. Ausgeweitete Untersuchungen der Überwachungsbehörden zeigen nun dass zahlreiche weitere pflanzliche Rohwaren, Zutaten und damit hergestellte Produkte mit Ethylenoxid belastet sind.

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RASFF: Saaten, Gewürze, Kräuter, Nahrungsergänzungsmittel und Zusatzstoffe betroffen

Dazu gehören der Lebensmittelzusatzstoff E410 Johannisbrotkernmehl (RASFF-Meldung 2021.2966, 8.6.2021), Gewürze wie Ingwer (RASFF 2021.2552 vom 20.5.2021), Senfsamen (RASFF 2021.4044, aber auch Nahrungsergänzungsmittel auf Basis von Ingwerextrakt (RASFF 2021.403 vom 30.7.2021), Aswaghanda-Extrakt (RASFF 2021.3988 vom 28.7.2021) oder Moringa-Pulver

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(RASFF 2021.3735 vom 14.7.2021). Das Chemische und Veretrinäruntersuchungsamt Stuttgart stellte aktuell überhöhte Ethylenoxidwerte in zahlreichen Nahrungsergänzungsmitteln fest. Ursache scheint dabei vielfach der in Kapseln und Tabletten verwendete Hilfsstoff Hydroxypropylmethylcellulose E 464 (HPMC) zu sein (CVUA 2021).

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Gesetzliche Bestimmungen

Die Anwendung von Ethylenoxid als Pflanzenschutzmittel ist in Deutschland seit 1981, in der EU seit 1991 verboten. Rückstandshöchstmengen für Ethylenoxid sind in der VO (EG) Nr. 396/2005 geregelt. Die Rückstandsdefinition umfasst die Summe aus Ethylenoxid und seinem Abbauprodukt 2-Chlorethanol, ausgedrückt als Ethylenoxid. Sesamsamen mit Ursprung Indien müssen gemäß Durchführungsverordnung (EU) 2020/1540 vom 22. Oktober 2020 bei der Einfuhr auf Ethylenoxid geprüft werden. Bei Überschreitung der Höchstmenge von 0,05 mg/kg darf Sesamsaat gemäß Art. 19 VO (EG) Nr. 396/2005 nicht vermischt oder verarbeitet werden. Grenzwerte der VO (EG) Nr. 396/2005 für weitere Lebensmittel s. Tabelle

Tabelle 1: Grenzwerte und relevante Matrices gemäß VO (EG) Nr. 396/2005

Code Number Groups and examples of individual products to which the MRLs apply (a) Ethylene oxide (sum of ethylene oxide and 2-chloro-ethanol expressed as ethylene oxide) (F) Reg. (EU) 2015/868 Annex V
0400000 OILSEEDS AND OIL FRUITS e.g. sesame seeds 0.05*
0500000 CEREALS e.g. oat 0.02*
0600000 TEAS, COFFEE, HERBAL INFUSIONS, COCOA AND CAROBS 0.1*
0800000 SPICES 0.1*

Ethylenoxid wird auch als Hilfsstoff bei der Produktion bestimmter Lebensmittelzusatzstoffe verwendet. Verordnung (EG) 231/2012 schreibt eine Höchstmenge von 0.2 mg/kg für diese Zusatzstoffe vor:

- Polyoxyethylen-Stearat (E 431)

- Polyoxyethylen-Sorbitan-Fettsäuren (E 432, E 433, E 434, E 435, E 436)

- Polyvinylalkohol-Polyethylenglykol-Copolymer (E 1209)

- Polyethylenglykol (PEG) (E 1521).

Die Verordnung verbietet die Verwendung von Ethylenoxid zur Sterilisierung von Zusatzstoffen.

 

Während Befunde, die auf direkte Anwendung zurückzuführen sind als Rückstände zu werten sind, können andere Ursachen auch zu einer Bewertung als Kontamination führen. Im internationalen Umfeld werden z.B. Frachtcontainer oder Lagerhallen, aber auch Lagergüter wie Holz mit Ethylenoxid begast. Ethylenoxid ist in der Atmosphäre unter diesen Bedingungen längere Zeit stabil. Bei ungenügender nachfolgender Belüftung können im Zuge von Lagerhaltung und Transport Cross-Kontaminationen resultieren (EFSA 2012). Im Einzelfall ist eine sichere und rasche Identifizierung der Ursache oft schwierig.

Risikobewertung

Ethylenoxid ist genotoxisch und kanzerogen (IARC 2018). Nach der Anwendung wird es rasch und weitgehend vollständig zu 2-Chlorethanol metabolisiert, jedoch wird auch 2-Chlorethanol aufgrund von Tierstudien bis zur abschließenden Klärung des toxikologische Potentials als erbgutverändernd eingestuft. Deshalb schließt die Rückstandsdefinition den Metaboliten 2-Chlorethanol mit ein. Das BfR hat diese toxikologische Bewertung von 2-Chlorethanol erst jüngst in seiner aktualisierten gesundheitlichen Bewertung von Ethylenoxid-Rückständen erneuert und stuft Zutaten und Produkte mit Befunden über der jeweiligen analytischen Bestimmungsgrenze als gesundheitlich bedenklich ein (BfR 2021).

Maßnahmen der Lebensmittelüberwachung und Bewertung von Bio-Produkten

In Deutschland sind gemäß Mitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vom 13.10.2020: „[…] Sesamsamen und damit hergestellte Ware im Fall von Überschreitung dieses Höchstgehaltes vom Markt zu nehmen bzw. zurückzurufen…“ [BMEL 2020].

Auf EU-Ebene haben die Mitgliedstaaten in der Arbeitsgruppe für Krisenkoordination mit ihrer Stellungnahme vom 16. Juli 2021 klargestellt dass Johannisbrotkernsamen(mehl) mit EtO-Gehalten über der analytischen Bestimmungsgrenze >0,1* ppm sowie daraus hergestellte Produkte als unsichere Lebensmittel einzustufen sind, da für das als genotoxisch eingestufte Ethylenoxid keine sichere Aufnahmemenge bestimmt werden kann. Auslöser waren Befunde in Johannisbrotkernmehl und daraus hergestellter Eiscreme (RASFF 2021.2966).

 

Ist bei Bio-Sesamsamen oder - Produkten die Höchstmenge von Ethylenoxid bzw. 2-Chlorethanol von 0,05 mg/kg gesichert überschritten, sind diese Lebensmittel nicht verkehrsfähig. Bei Befunden unterhalb des Grenzwertes (< 0,05 mg/kg) wird eine Aberkennung als Bioprodukt dann erfolgen, wenn das für Bio-Produkte unzulässige Mittel Ethylenoxid aktiv eingesetzt wurde, oder unzureichende Vorkehrungen gegen eine Verschleppung getroffen wurden (s.u. Cross-Kontamination!).

Befunde bei Bio-Waren handhaben die EU-Mitgliedsstaaten jedoch unterschiedlich. So wird der Biostatus der Ware bei Befunden meist ab 0,01 mg/kg, in einzelnen Ländern aber ab 0,02 mg/kg aberkannt.

Analytik

PhytoLab prüft seit vielen Jahren pflanzliche Rohwaren und Produkte auf Ethylenoxid-Rückstände. Dazu zählen getrocknete Kräuter, Gewürze, Sesam und weitere Saaten, ätherische Öle, aber auch verarbeitete Produkte wie Müsli.

Die bei PhytoLab verwendete Methode erlaubt die geforderte Bestimmung von freiem Ethylenoxid und 2-Chlorethanol, optional auch von gebundenem Ethylenoxid. Wir arbeiten hierbei mit der offiziellen Methode aus der amtlichen Methodensammlung nach LFGB §64, Kennziffer L 53.00-1. Hierbei wird evtl. vorhandenes freies Ethylenoxid im Stickstoff-Strom direkt übergeleitet. 2-Chlorethanol wird mit NaOH zu Ethylenoxid umgesetzt und freigesetzt. Das gesamte Ethylenoxid wird anschließend mit Natrium-Iodid Reagenz als Iodethanol gebunden. Nach einer weiteren Extraktion und Aufreinigung erfolgt die Messung mittels Gaschromatographie in Verbindung mit einem hoch selektiven und sensitiven Electron Capture Detektor (ECD).

Durch Verwendung eines geeigneten internen Standards haben wir die Robustheit der Methode optimiert, effiziente Prozesse erlauben uns den Durchsatz auch großer Probenzahlen. Das gesamte Verfahren (PV 730231) wurde in unserem Labor umfassend validiert und ist für die Untersuchung von pflanzlichen Lebensmitteln, Arzneimitteln und Futtermitteln nach ISO 17025:2018 akkreditiert.

Literatur

Durchführungsverordnung (EU) VO 2020/1540 der KOM vom 22.Oktober 2020

European Food Safety Authority; Conclusion on the peer review of the pesticide risk assessment of the active substance ethylene. EFSA Journal 2012;10(1):2508. [43 pp.] doi:10.2903/j.efsa.2012.2508.

Mitteilung des BMEL vom 13.10.2020: Ethylenoxid in Sesamsamen aus Indien

rasff_ethylene-oxide-incident_e410_crisis-coord_sum.pdf (europa.eu)

Gesundheitliche Bewertung von Ethylenoxid-Rückständen in Sesamsamen. Aktualisierte Stellungnahme Nr. 024/2021 des BfR vom 01. September 2021, DOI 10.17590/20201223-111442

IARC: Ethylene Oxid; IARC Monographs 100F; https://monographs.iarc.fr/wp-content/uploads/2018/06/mono100F-28.pdf.

Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA) Lieber „Kemie“ statt Keime? – In der EU ist beides nicht zulässig. Teil 2: Pflanzenpulver und Nahrungsergänzungsmittel. https://ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=5&ID=3424 (aufgerufen 03.08.2021)

COMMISSION REGULATION (EU) No 10/2011 of 14 January 2011 on plastic materials and articles intended to come into contact with food. (OJ L 12, 15.1.2011, p. 1). https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:02011R0010-20200923&from=EN

COMMISSION REGULATION (EU) No 231/2012 of 9 March 2012 laying down specifications for food additives listed in Annexes II and III to Regulation (EC) No 1333/2008 of the European Parliament and of the Council. Official Journal of the European Union 22.3.2012, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R0231&from=DE